Interkulturelle Textübersetzung
Die kultursensible Übersetzungsarbeit mit Migranten ist für einheimische Textübersetzer und Textübersetzerinnen eine Herausforderung besonderer Art. Sie macht es erforderlich, die eigenen kulturbezogenen und in diesem Sinne „ethnischen“ kognitiven Techniken und Haltungen während der Textübersetzung in einer kulturkritischen Analyse infrage zu stellen und sich anderen Kulturen und deren Rezeptionsmodi zu öffnen. Interkulturelle Textübersetzungen sind immer Interpretationen.
Da sich das Fremde nicht aus dem Eigenen erschließen lässt, setzt eine Textübersetzung interkulturellen Dialog voraus. Dabei sind gerade interkulturelle Textübersetzungen besonders dazu angetan, einen wechselseitigen Wissens- und Verständniszugewinn zu ermöglichen.
Textübersetzungen ermöglichen eine kulturgrenzenüberschreitende Empathie zwischen den Völkern oder Bevölkerungsgruppen. Die Schwierigkeit interkultureller Textübersetzungen besteht allerdings nicht zuletzt darin, all jene Widerstände zu erkennen, die dem Verstehensprozess und damit dem Übertragungs- und Übersetzungsprozess entgegenstehen. Wobei das fremdsprachliche durch Entfremdung zum Eigenen und muttersprachlich Vertrauten wird. So passiert es, dass interkulturell tätige Textübersetzerinnen und -übersetzer nicht nur Übertragungen und Gegenübertragungen auf Textebene bzw. auf semantischer Ebene vornehmen, vielmehr spiegeln sich diese Übertragungen und Gegenübertragungen im mikrosozialen Kosmos wieder. Daher nehmen interkulturelle Textübersetzungen immer auch makrosoziale, kollektive, gesellschaftliche Haltungen und Vorurteile bewusst oder unbewusst in sich auf.
In der praktischen Übersetzungstätigkeit werden in spezifischen Übersetzungskonstellationen das Wagnis neuer Beziehungsverknüpfungen, Einwanderungserwartungen und Enttäuschungen und vieles mehr bearbeitet.
Die Bewältigung der Anforderungen des Migrationsprozesses stellt eine wesentliche Seite der interkulturellen Textübersetzung dar. Den Übersetzerinnen und Übersetzern ist es dabei bewusst, dass ihre Texte die Basis für den Gewinn von Autonomie und Lebensqualität in unserem Lande erst ermöglichen. Textübersetzungen führen als kulturelle Adoleszenz zur Entwicklung einer neuen wie interkulturellen Identität.
Unsere Übersetzerinnen und Übersetzer haben während ihres linguistischen Studiums die wesentlichen Grundlagen und Techniken des Verstehens von Text als nicht nur reinen Körper, der Informationsgehalt enthält, sondern auch Emotionen transportiert, erkannt und wenden diese Erkenntnisse bei der interkulturellen Textübertragung an. Es ist dabei nicht immer leicht, wertungsneutrale interkulturelle Textübersetzungen zu erstellen, wenn die Übersetzerinnen und Übersetzer Episoden mit biografischem Hintergrund bearbeiten. Dabei ist Textübersetzung in erster Linie schriftliche Kommunikation.
Gerade bei interkulturellen Übersetzungen von Texten bilden Konflikte häufig essenzielle Themenschwerpunkte. Konflikte gehören zum Leben. Damit auch zur Übersetzungstätigkeit. Sie sind Folge und Ausdruck unserer Verschiedenheit und unserer Bezogenheit auf andere Menschen. Übersetzen kann nicht ohne Bezogenheit auf andere Menschen, speziell ohne Bezogenheit auf Menschen mit anderen Sprachen als Deutsch bestehen. Obwohl so normal und allgegenwärtig, erleben die meisten unserer Mitbürger Sprachlosigkeit oder Sprachschwierigkeiten als etwas Unbekanntes oder Unangenehmes und vermeiden sie lieber. Damit bleiben Zuwanderer isoliert.
Interkulturelle Textübersetzungen ermöglichen es, auf die Bedürfnisse aller Sprechergruppen einzugehen – unabhängig von der von Ihnen gesprochenen Sprache. Damit stehen unsere Übersetzerinnen und Übersetzer im Mittelpunkt des Verständigungsprozesses.
Beim Übersetzen von Texten wird methodisch und inhaltlich vorgegangen. Inzwischen arbeiten Textübersetzer erfolgreich in Schulen und Familien, in Nachbarschaften, im Gesundheitswesen, in Firmen und Organisationen. Dabei begleiten Übersetzerinnen und Übersetzer Kinder während ihrer ersten Wochen in den Schulen, sie ermöglichen Nachhilfeunterricht in zwei Sprachen, begleiten kranke Zuwanderer beim Gang ins Krankenhaus, wobei die medizinische Fachterminologie routiniert eingesetzt wird. Dabei ist interkulturelle Textübersetzung im Gesundheitswesen auch eine Übersetzung von Arztdeutsch in Patientenkroatisch, Patientenalbanisch, Patientenitalienisch usw.
Es geht bei der interkulturellen Textübersetzung darum, einfache Formulierungen zu wählen und dabei Bewertungen, Gefühle und Bedürfnisse zu artikulieren. Dabei ist es wichtig, Bitten von Forderungen zu unterscheiden. Textübersetzerinnen und -übersetzer sind in erster Linie Mittler – Mittler zwischen Sprachen, Mittler zwischen Kulturen, Mittler im wechselseitigen Wissens- und Verständniszugewinn.
Manchmal werden unsere Übersetzerinnen und Übersetzer auch im Strafvollzug benötigt. Dabei spielen Themen eine Rolle wie der Umgang mit Macht, die Umwandlung von Feindbildern, Schuld und Vergebung, Strafprozessordnung, Arbeitsrecht usw.
Interkulturelle Textübersetzungen bilden die wesentliche Grundlage für die Eingliederung von Mitbürgern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.