Übersetzer übersetzen ein Buch über die Liebe
Bücher über die Liebe – Bücher in denen wir „weiter nichts mehr wollen, nur noch gewollt werden“
Wir übersetzen Bücher über die Liebe. Dabei sind unsere Übersetzungen durch die Heftigkeit, Kompromisslosigkeit und Kopflosigkeit der jugendlichen Verliebtheit gekennzeichnet.
Die Bücher die wir übersetzen, beschreiben Helden, die „wie ein Süchtiger, der rückfällig wird“, in einem Strudel der Gefühle ertrinken. In diesem Gefühl der Befangenheit und Verwirrung, die von den beiden Grundzuständen herrührt, die eine mystische Erfahrung bezeichnen: „Einschnürung und Ausdehnung“.
In unserer Übersetzung des Buchs über die Liebe kennzeichnen diese beiden Zustände eine Art Vorgefühl, das die Seele von den Dingen hat, noch bevor man sich derer bewusst wird.
Die Übersetzung eines Buchs über die Liebe und ihrer vier Hauptbezeichnungen war für uns Übersetzer sehr interessant. Denn es gibt mannigfaltige untergeordnete Namen, die das Arabische dem Andalusier für die Liebe bietet. So die „jähe Liebesleidenschaft oder plötzliche Neigung zu Liebe“. Die erste Bedeutung der einen von vier Hauptbezeichnungen der Liebe bringt das zum Ausdruck, „was auf das Herz einstürzt oder hierin auftaucht“. Die erste Stufe der Liebe, also die erste Verliebtheit, so erfuhren wir bei der Übersetzung des Buchs, ist also die Leidenschaft, die der Vereinigung mit der Geliebten vorausgeht. Das Buch spricht vom Beginn der Verliebtheit. Und Verliebtheit soll drei Ursachen haben. Nämlich den Blick, das Hören oder die Gunsterweisung – allgemeiner gesprochen: das rechte Handeln.
Und im Buch zur Liebe, das wir übersetzt haben, war der Anblick der Auslöser. In dem Buch über Liebe wird auch philosophiert über das Gehör oder das Auslösende - das Gehörte: nämlich die Stimme. Die Stimme verspreche durch ihren Liebreiz häufig etwas, was sie dann nicht halten kann. In dem Buch das, wir übersetzen durften, heißt es weiter: „Häufig bestehe ein Leiden an der Liebe, wobei die Liebe noch gar nicht richtig begonnen habe. Bücher über Liebe zeichnen sich meist nicht durch Vernunft aus. Der Junge, der verliebt ist, möchte der Schönsten des Schulhofs eine Nachricht schreiben, einen Brief.
Doch was hätte er mitteilen können? Er hätte schreiben müssen, dass er sie liebe, aber mit welcher realistischen Erwartung? Er hätte schreiben können, dass er sie wiedersehen möchte, aber mit welcher vernünftigen Begründung? Er hätte schreiben müssen, dass sie wunderschön sei, aber mit welchem plausiblen Anspruch?
Als Übersetzer dieses Buchs fühlt man sich hineingezogen in den Strudel der Gefühle, der einem Hineinfallen gleicht.
Das Buch über die Liebe gibt dem Übersetzer des Buchs neue Einsichten:
Der Geist des Liebenden führt folgende Erklärung für die darin herrschende Unordnung an: Es ist eine Art Not in der Liebe, eine ständige Unsicherheit darüber, welches Mittel geeigneter sei, in die Nähe der Geliebten zu gelangen. Unter dem Zeichen der Verwirrung erscheint es dem Liebenden so, dass die Geliebte allen anderen Menschen, denen sie begegnet, ebenfalls vollkommen erscheinen muss, und jeder in ihr das finden müsse, was der Geliebte gefunden hat.
Übersetzung des zweiten Kapitels des Buchs über die Liebe: Besonders auffällig ist eine Stelle in dem von uns übersetzten Buch: „Einem Dieb und Fälscher wird die Hand abgehauen. Er hebt sogleich die abgehauene Hand mit der anderen Hand auf und nimmt sie mit sich fort.“ Als er daraufhin gefragt wird, wozu er die abgehauene Hand mit sich trüge, antwortete er: „Auf ihr hatte ich den Namen meiner Geliebten tätowiert“, (aus Navid Kermani, Große Liebe).
In unseren Buchübersetzungen geht es häufig um Zufälle. Doch jeder Liebende wird heftig bestreiten, dass es sich um einen Zufall handele, denn jeder Liebende möchte seine Liebe für eine Fügung halten können.
Wir übersetzen Liebesliteratur. Dabei geht es um ungestüme Geschichten. In der Übersetzung des Buches erkennen wir als Übersetzer, was es bedeutet zu lieben. Zu lieben bedeutet Mut, aber nicht einfach Mut im Allgemeinen, sondern eine Chuzpe, die es erlaubt, im entscheidenden Moment bzw. in der für den weiteren Verlauf einer Angelegenheit oder Beziehung wegweisenden Situation ohne viel Federlesens genau das zu sagen oder zu tun, was das Herz gerade flüstert. Manchmal hat gerade das eine entwaffnende Ehrlichkeit, selbst die tolldreiste Lüge, die entschlossene Übertreibung oder die rückhaltlose Direktheit – alles ist geeignet, um damit durchzukommen. Natürlich wird in dem Buch, das wir übersetzt haben, nicht die Rede sein von einem routinierten Herzensbrecher oder einer Souveränität in Liebesdingen, sondern in dem Buch geht es um die größtmögliche Unerfahrenheit und Unsicherheit, in der an sich ein Grund für die Bezauberung liegt. So kam es, dass die Schönste des Schulhofs sich ausgerechnet für den Helden der Geschichte interessiert. Denn wie es in der Übersetzung weiter heißt, wird man in kaum einem Älteren ein solches Ungestüm finden wie bei dem Jungen. Vielleicht besaß die Schönste nicht einmal selbst ein solches Ungestüm, sondern erinnerte sich höchstens daran.
In der Übersetzung kann man weiter lesen, wie das Liebesglück seinen Lauf nimmt. Es kündigt sich mit einem Lächeln an und mit dem Satz: „Weil es auf dem Schulhof keine Schönere als dich gibt.“ Navid brachte sie damit dazu, ihre entzückende Zahnlücke zu zeigen. Bei aller Schüchternheit hielt er etwas auf sich, achtete besonders auf sich, er bürstete jeden Morgen den Flaum am Kinn auf, und er trug modische Schuhe. Natürlich würden die Eltern hier protestieren und anführen, dass man zu früheren Zeiten so eine Vogelscheuche drapiert hätte, aber die Meinung der Eltern ist einem verliebten Jungen ziemlich egal. Besonders, wenn er die ach so unüberlegte Welt der Gefühle betritt. Zwar war er noch ein Autodidakt eines Casanova, aber doch interessierte er sich für ein Mädchen, sah in ihr eine beinahe erwachsene Frau.