Übersetzerin für Essays, die nicht flau übersetzt
Ich bin eine Übersetzerin für Essays, die den Rätseln im menschlichen Dasein auf die Spur gehen. In meinen Übersetzungen von Essays geht es um seelische Gefahren, die unerklärlich bleiben. Aber die auch uns unerklärlich bleiben sollen, denn wer möchte schon alles Wissen dieser Welt haben? Das Leben würde einem „ohne diese innere und so deutliche Gefahr womöglich zu flau vorkommen“.
Beispiel für die Übersetzung eines Essays:
Meine Neugierde hatte mich nicht ganz bis zum Tode gebracht. Doch ich war in den Fängen derer gelandet, die den Tod bedeuten. Wenn man einmal vom Tode berührt wurde, so trägt man eine nächtliche Kälte in sich, die niemals vergeht. Selbst im Hochsommer, wenn andere schwitzen, hat man Gänsehaut. Ein Hauch von Gruft, tief in einem verschlossen, scheint dies zu bewirken. Dabei war es in den Sommerferien 1968. Jenseits der Grenze verbrannten die Frauen ihren BH und zelebrierten ihre Freiheit. Mit dem Abstreifen des BH wollten sie auch ihre sexuelle Unterdrückung und Einengung abstreifen. Meine Mutter dagegen hatte sich glockenhafte Kunststoffkörbe umgeschnallt, die ein wenig an drahtige Lebend-Mausefallen erinnerten. Nur, dass sie keine Einstülpungen nach innen hatten. Sie waren aus unnachgiebigem Plastik und hielten ihre Weiblichkeit in einer etwas gezwungenen unnatürlichen Position. Möglicherweise empfand sie ihr ganzes Dasein so. Unnatürlich und gezwungen. Als Mutter taugte sie nicht viel. Sie hatte sich entschieden.
Übersetzung eines Essays – in federnder und präziser Sprache
An der Übersetzung von Essays schätze ich diese federnde und präzise Sprache, in der sie verfasst sind. Wenn ich einen Essay übersetze, dann weiß ich, dass ich die Handlung nie wieder vergessen werde. Essays sind etwas Besonderes, daher kann ich sie nach ihrer Übersetzung nicht einfach vergessen. Unübersetzte Essays schreien für mich förmlich nach Übersetzung, nach Ausuferung in den Fremdsprachen dieser Welt.
Oder liegt es daran, dass ich Übersetzerin bin? Ich finde, dass die Übersetzung eines Essays das einzige Mittel gegen das Vergessen ist. Denn unübersetzt würde das Ganze allmählich verblassen und sich eintrüben. Schlimmer noch: Es wäre nicht einmal in der Fremdsprache geboren. Ohne Übersetzung würde von dem Essay nicht mehr bleiben, als womöglich diese eine Version des Essays. Eine einzige Version, in nur einer Sprache, nämlich der, in der sie verfasst ist. Ich finde, dass die Übersetzung eines Essays ein Geschenk ist. Ein Geschenk an mich als Übersetzer und ein Geschenk an die Leserschaft. Eine federnde und präzise Sprache, vielleicht mit einer leichten Ironie vermischt, das ist die Art von Essay, die ich schätze, die ich mit Leidenschaft übersetze.