Die Übersetzung einer Gruselgeschichte wird sehr selten nachgefragt. Daher haben wir noch nicht sehr viele Gruselgeschichten in unserer literarischen Laufbahn übersetzen dürfen. Doch unlängst kam eine Gruselgeschichte der besonderen Art auf unseren Schreibtisch. Als die Übersetzerin der Gruselgeschichte begann, Satz für Satz der Gruselgeschichte zu übersetzen, merkte sie sehr bald, dass einige der angesprochenen Empfindungen, sie sehr stark an eigenes Erleben erinnerten. Hier der Beginn der Übersetzung:
Das Verhältnis zu meinen Eltern war schon jeher, gelinde gesagt, „angespannt“. Und so sehr ich mich auch bemühte, die Vergangenheit ruhen zu lassen, so unbarmherzig schlug sie zu, als ich schon längst erwachsen war und meine Eltern über Jahre hinweg nicht mehr gesehen hatte. Das Grauen, das mich bei dieser Erinnerung erfüllte, war nichts weiter, als die nackte Angst – die Angst zu sterben. Nun ist es aber so, dass im Laufe der Zeit Erinnerungen verschüttet werden. Dass der Zugang zu diesen Erinnerungen gänzlich verwehrt scheint. Aber plötzlich passieren Dinge, die in keinerlei Zusammenhang zu stehen scheinen, und mich trotzdem wieder in die alten, scheinbar längst vergessenen düsteren Zeiten zurück katapultieren – trotz meines gesicherten Hier und Jetzt. Es war bei dem Film „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ nach Jules Verne, dass mich dieses unbestimmte Gefühl erfasste, dass mein Innerstes erzittern ließ. Was war bloß damals geschehen? Und was hatte es mit feuchten Steinen zu tun? Wieso empfinde ich beim Anblick von engen Stollen ein Grausen, das mir den Rücken hinunter läuft? Natürlich liegt es in der Gewohnheit der Dinge, dass ein menschliches Gehirn, sobald es mit einer Aufgabe gefüttert wird, selbst im Schlaf an der Lösung und Beantwortung der einmal gestellten Frage arbeitet. Früh 4:30 Uhr schreckte ich auf. Ein furchtbarer Albtraum hatte mich in eine Welt der Dunkelheit und der Kälte, voll spitzer Steine geführt, die den kleinen zarten Fingerkuppen wehtaten. Es sind sehr kleine Finger. Aha, es geht also um eine Kindheitserinnerung. Ist ja wieder mal ganz was Neues, dass meine Eltern einen ganz normalen Tag in einen Albtraum verwandelten. Aber wie klein bin ich? Rings umher sehe ich beigegraue Mäntel. Die Kleidung wird davon bedeckt, und auf einmal sehen alle gleich aus. Die Gesichter ringsum her sind mir ebenfalls fremd. Ich weiß, dass es eine Schulklasse meiner Mutter ist. Ich weiß, dass auch mein Vater wie gewöhnlich die Schulklasse bei Klassenfahrten begleitet. Und ich weiß, dass ich wie immer als fünftes Rad am Wagen tituliert werde, wobei es einen Wagen oder ein funktionierendes Ganzes in dieser Familie gar nicht gibt. Und daher machen sich plötzlich alle auf den Weg. Es geht hinein durch eine enge Öffnung.
Im weiteren Verlauf der Übersetzung bemerkte die Übersetzerin, dass die Gruselgeschichte zwar ins Innere der Erde führt, aber zugleich ins Innere der Seele. Was bei der Übersetzung dieser Gruselgeschichte besonders berührte, war, dass die Empfindungen so lebensecht dargestellt wurden. Manche Gruselgeschichten sind ja reine Fantasie, sie entspringen der Eingebung eines Autors. Aber diese Gruselgeschichte schien ein tatsächliches Erleben wiederzugeben. Und das berührte die Übersetzerin dieser Geschichte zutiefst. Hier ein weiterer Auszug.
Mutter geht einfach an mir vorbei. Ich werde angeherrscht: „Halte dich am Geländer fest!“ Das ist leichter gesagt als getan, denn ich muss meine Hand weit nach oben strecken, was anstrengend ist. Also lass ich meine Hand über die Wand gleiten. Sie ist glitschig und kalt, und sie ist nass. Da haben wir die Empfindung, die Brandon F. bei seinem Ausflug zum Mittelpunkt der Erde gemacht haben muss. Jetzt folgen Stufen, die steil nach unten führen. Mir kommt es vor, als würde mich die Erde verschlingen. Es wird kalt und schummrig. Die einzelnen Lampen geben ein schwaches gelbliches Licht von sich. Bei jedem Schritt gelange ich eine Stufe tiefer. Ich muss darauf achten, nicht auf den Mantelsaum des Umhangs zu treten, der für mich viel zu lang ist. Die Kapuze geht mir zu tief ins Gesicht, so dass ich nicht nach vorn schauen kann. Ich folge einem Mantel. Endlich geht es nicht weiter nach unten. Wir erhalten Informationen, wie Abbau von Alaunschiefer, eine Durchschnittstemperatur von 8 °C und Tropfsteinhöhlen, Tropfsteinformationen, die an ein Märchenschloss erinnern sollen. Bisher habe ich noch nichts gesehen außer Mänteln, die jetzt nicht mehr beigegrau sind, sondern fast schwarz. Alle Stimmen hallen unwirklich in den weiten Sälen, zu denen sich jetzt die unterirdischen Gewölbe ausweiten. Am Rande sollen Seen sein, in denen sich die Tropfsteine spiegeln. Ich dränge mich nach vorn. Aber ich bin zu klein. Ich kann nicht über den Rand sehen. Für einen Moment wird das Licht gelöscht. Pechschwarze Nacht umgibt mich. Alle ringsum sind plötzlich ebenfalls wie ausgelöscht, so als wären sie mit einem Mal verschwunden. Und auch das Murmeln hat aufgehört, so als hätte es allen die Sprache verschlagen. Nach einer Weile geht das Licht wieder an. Es soll grün, rot und gelb sein, sogar orange. Doch ich sehe nicht viel. Ich sehe nur ein Schimmern an der Höhlendecke, aber von dem Märchenschloss im Märchendom habe ich nichts gesehen. Auf einmal ergreift mich jemand.
Während die Übersetzung voranschritt, wurde deutlich, dass die Gruselgeschichte aufzeigt, wie wenig Zuversicht und Vertrauen der Protagonist bzw. die Protagonistin der Geschichte hatte. Die Übersetzung dieser Gruselgeschichte war somit mehr eine Art psychologische Nabelschau. Hier eine besonders bezeichnende Stelle in der Übersetzung der Gruselgeschichte:
Zwei Arme heben mich in die Höhe. Es ist mein Vater. Gott sei Dank! Er hebt mich hoch. Für einen Moment lang kann ich das Märchenschloss tatsächlich sehen, und es ist sogar doppelt - wie einmal herumgeklappt. Ja, ich kann es sehen. Es reflektiert sich auf der völlig glatten Oberfläche des unterirdischen Sees. Ja, das gefällt mir. Mein Vater lässt mich kopfüber nach vorne hin kippen – ganz plötzlich. So tief, dass mein Pony das Wasser berührt. Ich quietsche. Die Führerin sagt barsch: „Behalten Sie die Klasse im Auge!“ Doch ich bin schon nass. Das Wasser ist eisig. Ich klammere mich an seinen Arm. Vielleicht tut es ihm weh. Jedenfalls lässt er mich auf meine Füße sinken. Er dreht sich weg, so als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Das Wasser läuft mir von an den Schläfen am Hals hinunter unter die Kleidung bis auf die Brust. Es ist kalt - es ist nass. Die ganze Höhle ist kalt. Ich trage nur dünne Strumpfhosen, einen dünnen Rock und eine Strickjacke, darüber den viel zu langen Mantel, dessen Ärmel umgeschlagen wurden, so dass die Hände herausschauen. Ich versuche, nicht zerquetscht zu werden in der Menge, die knufft. Mitten zwischen Beinen und Mänteln bewege ich mich vorwärts. Ich sehe keine Gesichter mehr, keinen Boden, ich versuche, nicht zu stolpern, werde zur Seite gedrängt. Und ich stehe nun mitten in der großen Halle. Wieder wird das Licht gelöscht. Es ist absolut tiefschwarze Nacht. Man kann gar nichts sehen. Man hört nicht mal das Atmen der Personen. Haben alle aufgehört zu atmen? Als das Licht über dem sogenannten Märchendom wieder angeht, setzen sich die Leute wieder in Bewegung, immer in Gruppen zu 20 oder 30 Leuten. Und alle blicken auf die Seen. Und ich erkenne nur Mäntel, schwarze Mäntel, Umrisse. Ich sehe kein einziges Gesicht. Jetzt wird mir meine Situation klar. Ich weiß nicht mehr, zu welcher dieser Mantelgruppen ich gehöre. Und ohne es zu wollen dringt ein Schrei aus mir: „Mami!“ Plötzlich beugt sich jemand zu mir. Ich sehe eine Fratze. In dem unwirklichen Licht erkenne ich das Gesicht einer älteren Frau. Ihr Mund öffnet sich, und sie kreischt: „Da ist ein Kind!“ Es klingt wie ein Vorwurf, wie ein Verbrechen. Sie klingt verärgert, gestört und hält mich unsanft fest.
Ich will aber in dieser Dunkelheit nicht festgehalten werden. Sie redet auf mich ein. Sagt, ich solle hier eine halbe Stunde warten bis, ja bis was? Bis jemand kommt, um mich zu holen. Wer soll mich holen? Und wieso muss ich zur Strafe hier eine halbe Stunde in dieser Kälte verharren. Ich bin nass, meine Zähne klappern. Ich friere. Die Kleidung, die nun durchgeweicht ist, wärmt nicht mehr. Ich habe eiskalte Finger und möchte nichts weiter als hier heraus. Wieder im Hintergrund: eine andere Gruppe. Man solle sich in den Stollen und Gängen nicht verlaufen. Man solle immer bei der Gruppe sein. Man solle vorwärtsgehen, um die Attraktion, den Märchendom, zu bewundern. Ich reiße mich los. Ich will auf gar keinen Fall in dieser Dunkelheit warten. Ich will nicht mehr in diesem Raum sein, in dem zeitweise vollkommene Schwärze herrscht. Ich will zurück ans Licht. Ich weiß, dass ich hier unten verloren bin, in dieser Kälte und Dunkelheit. Ich folge Mänteln. Es geht ewig weiter durch Gänge, manchmal ein paar Stufen, wieder durch enge Gänge, wieder wird irgendetwas erklärt vom Schiefer, der gefaltet ist, vom Devon und von Fossilien, die an Würmer erinnern sollen. Tja, ist man einmal erst unter der Erde, dann bleiben einem nur noch die Würmer. Das sind die Weisheiten, die die alten Leute im Dorfe von sich geben. Alles nicht sehr tröstlich. Ich will nicht bei den Würmern sein, und ich gehöre auch ganz bestimmt noch nicht unter die Erde. Ich bin noch nicht tot.
Während Übersetzungen von Gruselgeschichten manchmal auch heitere Aspekte in sich bergen, etwa wenn die Geschicke durchaus in der eigenen Hand liegen, man sie aber aus der Hand gibt, so wenig war das hier der Fall. Bei der Übersetzung dieser Gruselgeschichte war das komplette Geschehen fremdbestimmt. In der Übersetzung wurde die Protagonistin in ein Geschehen hineingeführt, in einen Abgrund, aus dem sie kaum wieder aus eigener Kraft herauskommen konnte. Dies mag zum einen darauf zurückzuführen sein, dass in der Übersetzung dieser Gruselgeschichte deutlich wurde, wie wenig die Protagonistin die Umgebung einschätzen konnte. Besonders bei der nächsten Stelle in der Geschichte empfand die Übersetzerin sehr großes Mitgefühl:
Tja, bei der Reise zum Mittelpunkt der Erde hat der dreizehnjährige Neffe von Brandon F. Ansprüche an die Bergführerin geltend gemacht. Wobei Brandon F., der Onkel, seine Augenbrauen hochzog und entgegnete: „Ansprüche gelten machen? Du bist 13.“ Tja, wer macht eigentlich Ansprüche auf mich geltend? Noch nie hat jemand einen Anspruch auf mich geltend gemacht. Als ich im Alter von zwei Jahren auf Besuch zu meiner Mutter kam, erklärte sie mir, dass ich sie als ältere Schwester bezeichnen solle. Man braucht kein Genie zu sein, um zu merken, dass sie sich für mich schämte. Das tat richtig weh in dem kleinen Herzen. Und auch hier ist von meiner Mutter keine Spur. Wie immer hat sie es nicht bemerkt, dass ich mich verirrt habe in diesen unterirdischen Gängen. Ich folge einfach Menschen. Es sind fremde Leute. Es sind fremde Laute. Der spezielle Klang meiner Heimatlaute ist einzigartig. Aber nirgends hier zu hören. Ich bin in einer fremden Umgebung unter Fremden. Ich bin in einer Höhle, die schlecht beleuchtet ist. Ich stolpere vor mich hin und bin froh, nicht mehr von hinten geknufft zu werden. Endlich führen Stufen wieder nach oben. Meine Beine schmerzen, die Anstrengungen sind für ein so kleines Kind übermenschlich.
Am Ende wird der Leser, der die Übersetzung dieser Gruselgeschichte in die Hand nehmen wird, nicht etwa entlassen, sondern es bleibt ein ungutes Gefühl. Obwohl die Gruselgeschichte an sich zu Ende ist, wurde der Übersetzerin sehr schnell klar, dass das gesamte Leben von Grusel durchzogen ist. Die Übersetzung der Gruselgeschichte zeigt somit ein ziemlich düsteres Bild auf.
Doch endlich blendet mich etwas: Es ist das Oben. Oben, über dem Erdreich. Oben, außerhalb dieser Nacht, die unten auch am Tage ist. Was mich jetzt am meisten schockiert, ist, dass ich nicht etwa nach meiner Mutter oder meinem Vater suche, sondern dass es mir einfach völlig egal ist, wohin ich gehe. Ja, ich bin sogar der festen Überzeugung, dass irgendwo auf dieser Welt auf mich Eltern warten, richtige Eltern. Eltern, die mich ihr Kind nennen. Eltern die mich an der Hand führen. Eltern, die auch mal zurückblicken oder besser noch, die mich im Blick behalten und nicht in einer Höhle vergessen. Für die ich so wichtig bin, dass sie mich beschützen und behüten. Oder verdammt nochmal irgendwelche Eltern, denen ich einfach nicht völlig egal bin. Bisher hat mir mein Leben nicht sehr viel Gutes gebracht. Mein zweiter Geburtstag warf mich in eine gefühlskalte Außenwelt. Der geregelte Tagesablauf des Heims, in dem mich meine Eltern untergebracht hatten, war Chaos gewichen. Häufig hatten meine Eltern vergessen, dass sie überhaupt ein Kind hatten. Aber wenn ich schon jetzt völlig allein war auf dieser Welt, so doch lieber auf der Welt als unter ihr in dieser Kälte und Finsternis.
Was war beim Übersetzen besonders schwierig? Zum einen die sehr einfache Wortwahl, die dem einfachen Geist der Protagonistin entspricht, und zum anderen die durchaus tiefen Gefühle, die erschüttern. Die Übersetzung war somit eine sowohl geistig als auch emotional sehr schwierige Arbeit.
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